Lektion 1, Thema 1
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Impuls: Lerne aus Deinen Experimenten. (20 Minuten) Copy Copy

„Ein Lebewesen, das immer so bleiben würde, wie es anfangs war, kann nur dort überleben, wo seine Lebenswelt sich nicht mehr verändert“[1]. Jedes Lebewesen vollzieht also Veränderungen, individuell und generationsübergreifend, um sich an sein dynamisches Umfeld anzupassen. „Denn wir leben nicht in einer stati­schen Welt, in der eine perfekt effiziente Handlung für immer und ewig zum Erfolg führt“[2]. „Gelingt ihm das, bleibt es am Leben, gelingt ihm das nicht, stirbt es. Wer also heute noch lebt, muss dazu bisher in der Lage gewesen sein. Alle anderen sind ausgestorben“[3]. Aus neurobiologischer Sicht sind wir Menschen Weltmeister in Anpassungsfähigkeit, denn unser Gehirn ist dafür geschaffen zu lernen. „Lernen ist unsere evolutionäre Nische – das, was wir außergewöhnlich gut können und uns überlegen macht“[4]. Jede Anpassung setzt voraus, dass wir uns in einem Lernprozess neue Handlungs- und Reaktionsmuster angeeignet haben. Neuroplastizität heißt diese Fähigkeit unseres Gehirns, immer wieder die Verbindungen zwischen seinen Nervenzellen sowie zwischen seinen Nervenzel­len­netzwerken in Quantität und Qualität zu verändern.

Weil auch Du eine Veränderung bewirken möchtest, hast Du Dich für diese Challenge entschieden. Du möchtest Deine Reaktions- und Handlungs­mus­ter verändern, denn sie sind nicht mehr wirkungsvoll oder sie fühlen sich nicht mehr richtig an.

Angenommen Du hast beobachtet, dass Deine Mitarbeitergespräche nicht erfolgreich sind. Anstatt Deine Mitarbeiter zu motivieren, sind sie am Ende eher frustriert, genau wie Du selbst.

Deine bisher erfolgreichen Muster wirken nicht wie gewohnt. Die Wirkungsket­ten sind unlogisch. Für unser Gehirn ist die Situation inkohärent geworden. Die Auslöser dafür könnten die Mitarbeiter sein (Außenwelt), die auf Deine Gesprächsführung anders reagieren als bisher. Vielleicht hast Du neue Mitarbei­ter im Team. Oder Du fühlst Dich nicht mehr gut dabei. Dein Wertesystem, also Deine Innenwelt, hat sich über die Jahre verschoben. Deine Bedürfnisse haben sich vielleicht verändert. Statt Effizienz, ist Dir nun Kooperation wichtiger.

Du könntest, wie in Woche 5 beschrieben, beschuldigen, und erwarten, dass die anderen sich verändern: „Diese jungen Mitarbeiter und ihre Ansprüche!“ Und Du könntest die alten Muster weiterhin anwenden.

Du könntest Dich rechtfertigen und Erklärungen finden, warum die Gespräche nicht mehr erfolgreich sind: „Wir haben mittlerweile keine Zeit mehr für Mitar­beitergespräche. Alles muss zwischen Tür und Angel stattfinden. Kein Wunder, dass das Ergebnis unbefriedigend ist!“ Du könntest also weiter machen wie bis­her.

Oder Du könntest aus der Verantwortung heraus handeln (vgl. Woche 6) und neue, zumindest veränderte Muster aufbauen. Das bedeutet, dass Du lernst. „Diese Inkohärenz wird dann durch das in einem eigenen Lernprozess erwor­bene Reaktionsmuster (z. B. neues Wissen, erweitertes Können) wieder passen­der, kohärenter gemacht“[5]. Vielleicht hast Du Dir deshalb zum Ziel gesetzt, Mit­arbeitergespräche wertschätzend durchführen zu können.

Übrigens Lernen, insbesondere in Form von Aha-Erlebnissen, hat den Vorteil, dass es irgendwie „high“ macht. „Die mit solchen »Aha-Erlebnissen« einherge­hende Begeisterung führt zur Aktivierung des so genannten »Belohnungs­systems«, und damit zur Ausschüttung von Dopamin und endogenen Opiaten im Gehirn“[6].

Nur wie lernt unser Gehirn? Klar ist: es ist dafür geschaffen, um Probleme zu lösen[7]. Nicht die Ansammlung von Daten charakterisiert das menschliche Gehirn, sondern das Verknüpfen von Informationen. Zum Lernen braucht das Gehirn zum einen Informationen, also Reize. Zum anderen Zeit, um angepasste Handlungsmuster zu entwickeln. Und schließlich Feedback, um die Wirksam­keit des neuen Musters zu evaluieren. Zum Lernen braucht unser Gehirn also Erfahrungen und die Möglichkeit auszuprobieren[8]. Mit Deinen Experimenten in dieser Challenge ermöglichst Du Dir und Deinem Gehirn aus neurobiologischer Sicht das Lernen.

Wichtig ist, dass Deine Experimente diese 3 Dimensionen umfassen[9]:

  • Deine Experimente begeistern Dich. Sie machen für Dich Sinn und sind wichtig. Hier geht es darum, dass sie bei Dir Emotionen hervorru­fen[10]. „Nur dann schütten die dort liegenden Nervenzellen an den Enden ihrer langen und vielfach verzweigten, in alle Hirnbereiche zie­henden Fortsätze ihre speziellen Botenstoffe aus, die zu einer vermehr­ten Frei­setzung so genannter neuroplastischer Wachstumsfaktoren führen“[11].
  • Deine Experimente helfen Dir zu verstehen. Sie bringen zunächst Ver­unsicherung. Denn was Du lernen möchtest, ist zunächst unklar, Du hast es Dir noch nicht erschlossen. Setze Deine Experimente in einen Kontext, führe sie in Deinem Umfeld durch, und spiele sie nicht nur the­oretisch durch[12]. Doch: „So wichtig es ist, Dinge auszuprobieren, Gren­zen zu testen, Fehler zu machen, sich auszutauschen, so wichtig ist es auch, dass schlussendlich klar ist, worum es geht“[13]. Nutze also Deine Experi­mente, um zu verstehen, wie z.B. Wertschätzung in Deinem Kon­text funktioniert. Sie ermöglichen Dir Ursachen-Wirkungs-Ketten und Zusammenhänge zu begreifen, um Deine eigenen Antworten und Muster zu finden.
  • Deine Experimente helfen Dir, Dein Können aufzubauen. Dank ihnen lernst Du, Deine neuen Muster umzusetzen. Die anfängliche Unsicher­heit hat den Vorteil, dass sie Dich aufmerksam macht und Dich zwingt, Dich mit Deinem Thema auseinanderzusetzen[14]. Die Erfolge bauen Dein Selbstvertrauen auf und festigen Deine neuen Handlungsmuster. Bleibe gleichzeitig offen für mögliche Fehler. „Wer keine Fehler macht, kann auch nichts hinzulernen“[15]. Vertraue auf die Fähigkeit Deines Gehirns, das in seiner neurobiologischen Funktionsweise, Fehler mitein­programmiert. „(…) ein sehr cleveres Denkprinzip des Gehirns: dass es nämlich nicht darauf ankommt, Fehler zu vermeiden, sondern aus ihnen zu lernen. Und genau dafür ist das Gehirn wiederum top ausge­rüstet“[16]. „Denn sobald das Gehirn einen Fehler macht, versucht es nicht nur, die­sen zu korrigieren, sondern auch produktiv zu nutzen. (…) Wür­den wir hingegen nach einem effizienten fehlerintoleranten Denk­schema-F funktionieren, wären wir bei der ersten gravierenden Um­weltverände­rung weg vom Fenster“[17].

 

Lernen ist überlebensnotwendig. Kein Lebewesen ist so gut für das Lernen geschaffen, wie der Mensch. Sein Gehirn ist neuroplastisch und hat Freude am Lernen. Dafür braucht es allerdings Erfahrungen, die Sinn stiften. Und genau das tust Du in dieser Challenge.

Hinweise zur Vertiefung

Bücher:

  • H. Beck, Das neue Lernen heißt Verstehen. Berlin : Ullstein Buchverlage GmbH, 2020. ISBN 978-3-8437-2258-2.
  • H. Beck, Irren ist nützlich. München : Carl Hanser Verlag, 2017. ISBN 978-3-446-25616-3.
  • G. Hüther, Mit Freude lernen – ein Leben lang. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, 2016. ISBN 978-3-647-99768-1.

 

[1] Vgl. (Hüther, 2016), S.32

[2] Vgl. (Beck, 2017), S.216

[3] Vgl. (Hüther, 2016), S.31

[4] Vgl. (Beck, 2017), S.24

[5] Vgl. (Hüther, 2016), S.25

[6] Vgl. (Hüther, 2016), S.91

[7] Vgl. (Hüther, 2016), S.81

[8] Vgl. (Beck, 2017), S.32f, S.222f; (Beck, 2020), S.45, 76; (Hüther, 2016), S.96

[9] In Anlehnung an (Hüther, 2016), S. 115

[10] Vgl. (Beck, 2017), S.38; (Hüther, 2016), S.44, 88

[11] Vgl. (Hüther, 2016), S.29

[12] Vgl. (Beck, 2017), S.31

[13] Vgl. (Beck, 2020), S.78

[14] Vgl. (Beck, 2020), S.128f

[15] Vgl. (Hüther, 2016), S.79

[16] Vgl. (Beck, 2017), S.209

[17] Vgl. (Beck, 2017), S.219