agilean Basics – Getting Projects Done
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Herzlich Willkommen - Einleitung
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agilean Basics
Einstieg - Projekterfolg4 Themen -
Das Große Ganze4 Themen
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Selbstorganisation und Führung4 Themen
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Agile und Lean5 Themen
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Grundpfeiler der Zusammenarbeit - Mandate und Zeremonien3 Themen
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Agil Arbeiten und lean Steuern4 Themen
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agilean Kompetenzaufbau2 Themen
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Quiz - Alles klar?1 Quiz
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Zusätzliche Materialien
Kompliziert oder komplex?
Willkommen in der VUKA-Welt
Wann sind agile Ansätze nützlich und wann nicht? Eine Handlungsstrategie zur Problemlösung muss zum Kontext passen, denn ein Handeln mit einer unpassenden Strategie vergrößert die Probleme. Deshalb ist es sinnvoll die Kontexte zu unterscheiden, wobei hier immer wieder die Differenzierung zwischen “kompliziert” und “komplex” herangezogen werden.
Noch nie lagen Erfolg und Scheitern so eng beieinander wie heute. Manager führen alle möglichen Maßnahmen durch, um zu zeigen, dass sie “alles im Griff haben und Herr im Hause sind.”. Wenn die Wirkung dieser Maßnahmen nicht wie erwartet ausfällt und diese sogar das Ganze noch verschlimmern, finden wir uns in der VUKA-Welt wieder!
VUKA (engl. VUCA) beschreibt die schwierigen Rahmenbedingungen der Unternehmensführung und bedeutet:
- Volatilität (engl. volatility)
- Unsicherheit (engl. uncertainity)
- Komplexität (engl. complexity) und
- Ambiguität/Ambivalenz (engl. ambiguity)
Der Begriff entstand in den 1990er Jahren am United States Army War College (USAWC) und diente zunächst dazu, die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben (vgl. H. Barber). In dieser Welt gibt es keine festen Regeln, keine Gewissheit und klar zu erkennende Zusammenhänge. Im Gegenteil, alles ist möglich!
In dieser VUKA-Welt gibt es verschiedene “Phasenübergänge”, die durch die Unterscheidung zwischen kompliziert und komplex auf zwei wesentliche Faktoren vereinfacht werden können.
Zur Einordnung dieser Begriffe gibt es verschiedene Ansätze in der Managementliteratur, die eine Differenzierung von möglichen Projektverläufen ermöglichen und damit auch die Wahl der Handlungsstrategie verbessern können. Die beiden im Folgenden kurz skizzierten Modelle nutzen dieselben Kategorien (darunter auch kompliziert und komplex) und bieten gleichzeitig unterschiedliche Perspektiven auf die Organisation bzw. das Projektvorhaben.
Das Cynefin Framework
Im Cynefin Framework (gesprochen “küneffin”, walisisch für “Lebensraum”) definiert der Organisationsforscher Dave Snowden (vgl. D. Snowden) vier mögliche Ausprägungen des Umfelds (bzw. Kontext oder Systems). Jede dieser Ausprägungen ist dadurch gekennzeichnet, ob und wie ein System verstanden werden kann. Damit hängt auch zusammen, welche Lösungsstrategie sinnvoll ist, um in entsprechendem Kontext Probleme zu bewältigen. Das Cynefin Framework unterstützt die Beurteilung mit entsprechenden Handlungsempfehlungen für das Vorgehen.
Aus empirischen Beobachtungen abgeleitet unterscheidet D. Snowden aus der Charakteristik der Frage- und Themenstellung heraus 5 unterschiedliche Typologien (vgl. D. Snowden):
- Einfaches System (simple system)
In der einfachen Umgebung liegt eine klare und eindeutige Beziehung zwischen der Ursache und der Wirkung vor, die bekannt ist. Es gibt eine eindeutige Lösung.- Beispiel: Du fährst mit deinem Auto auf eine Kreuzung mit roter Ampel zu. Du erkennst das Signal rechtzeitig, beurteilst es und reagierst, indem du bremst. Es gibt nur eine beste Lösung, die sogenannte Best Practice.
- Vorgehensweise: erkennen, wahrnehmen-beurteilen, klassifizieren-reagieren, agieren (sense-categorize-response)
- Kompliziertes System (complicated system)
Auch in diesem Umfeld besteht eine klare Beziehung zwischen den Einflussgrößen (Ursachen) und der Wirkung. Allerdings gibt es mehrere unterschiedliche Wirkungszusammenhänge. Die Wirkungszusammenhänge sind meist verborgen. Durch Analysen oder durch Experten lassen sich die Wirkungszusammenhänge finden.- Beispiel: Dein Computer wird zunehmend langsamer. Du bringst ihn zu einem Fachmann. Der analysiert das Problem, um die einzelnen Wirkungsbeziehungen herauszufinden, wählt die aus seiner Sicht beste Lösung aus und setzt sie um. Es gibt nicht nur eine, sondern mehrere richtige Lösungen. Das heißt, es gibt kein Best Practice, sondern nur Good Practices. Die unterschiedlichen Optionen haben jeweils verschiedene Vor- und Nachteile.
- Vorgehensweise: erkennen, wahrnehmen (Daten sammeln)-analysieren-reagieren, handeln (sense-analyse-response)
- Komplexes System: (complex system)
In diesem Umfeld gibt es mehrere Ursache-Wirkungsbeziehungen. Die Beziehungen zwischen den Einflussgrößen sind unbekannt und teilweise bedingen sie einander. Sie sind emergent (entstehend) und das Zusammenwirken ist (noch) unbekannt. Die Zusammenhänge in komplexen System sind erst im Nachhinein erkennbar.- Beispiel: Welche Antriebsart wird sich für den PKW von morgen durchsetzen? Diese genaue Lösung lässt sich bei der Vielzahl der Alternativen im Moment analytisch nicht ableiten. Das hängt z. B. von Dingen wie der Weiterentwicklung der Batterietechnologie, der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe, der Kostenentwicklung, Verfügbarkeit von Ladesäulen, Ladegeschwindigkeit, Skaleneffekte bis hin zur Strompreisentwicklung usw. ab.
- Vorgehensweise: probieren-erkennen, wahrnehmen-handeln (probe-sense-response). Dabei ist das Probieren kein zufälliges try and error, sondern das bewusste Aufstellen von Hypothesen nach dem Motto: “Good enough for now, safe enough to try” und Überprüfen mit der aus dem Lean Management bekannten PDCA Logik (vgl. W.E. Deming).
- Chaotisches System (chaotic system)
In diesem Kontext ist kein systematischer oder logischer Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erkennbar.
- Beispiel: Eine Naturkatastrophe, wie zum Beispiel ein Vulkanausbruch läuft chaotisch ab, weil sie sich beständig ändert und keine überschaubaren Muster existieren. Sie sind nicht genau vorhersehbar und in der Intensität ungewiss. Menschen sollten sich unmittelbar aus dem Umfeld entfernen.
- Vorgehensweise: : handeln, agieren (Wirkung erzielen) – erkennen – reagieren. (act-sense-respond).
In chaotischen Systemen geht es im Wesentlichen darum, zu handeln (keine umfassenden Analysen) und Wirkung zu erzielen. Ziel ist es, das chaotische System Stück für Stück zu stabilisieren.
Dieser Zustand wird von Dave Snowden als Novel Practices bezeichnet, weil es für die meisten neu ist und von wenigen ausgeht.
- Zustand des Nicht-Wissens (Disorder)
In diesem Fall wissen wir noch nicht, zu welchem der 4 Typen das Umfeld oder die Situation zuzuordnen ist.
Vorgehensweise: Wir sammeln mehr Informationen über die Themen des Nicht-Wissens und ordnen sie den Kriterien entsprechend dem passenden Umfeld zu.
Die im Diagramm dargestellten Grenzen zwischen den Quadranten stellen nur ein Denkmodell dar. Auf der linken Seite ist die Unbestimmtheit die Herausforderung, mit der wir nur durch Intuition oder kleine Experimente umgehen können. Auf der rechten Seite herrscht die Bestimmtheit vor. Dort braucht es Wissen und Kompetenzen. In der Praxis kommen oft mehrere Aspekte des Cynefin Frameworks zum Tragen. Snowden berücksichtigt diese, indem er in die Mitte des Modells “Disorder” schreibt und empfiehlt weitere Informationen zu sammeln, um die Zusammenhänge besser zu verstehen.
Die Stacey-Matrix
Ein anderes Modell, das mit denselben Kategorien arbeitet, indem sich die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen einfacher einordnen lässt, ist die sogenannte Stacey-Matrix (vgl. R.D. Stacey). Die Stacey Matrix visualisiert den Zusammenhang zwischen:
- der Klarheit und des Wissens der Anforderungen oder auch des Zieles einer Aufgabenstellung und
- der Kenntnis oder des Bekanntheitsgrades des Prozesses, Vorgehensweise oder auch der Technologie, mit der die Aufgabenstellung gelöst wird.
Am Ursprung des Koordinatensystems sind sowohl die Anforderungen/Ziele als auch die möglichen Lösungen (Vorgehen, Technologie) klar. Es ist der Bereich des einfachen Umfeldes. Werden die Anforderungen und/oder Vorgehen etwas unklarer, befinden sie sich im Bereich des Komplizierten. Je nach Problemstellung kann dies auch durch die eine oder andere Achse getrieben werden. Werden die Ziele oder die Vorhaben noch unklarer, geht es in den Teil des Komplexen über. Und bei totaler Unklarheit beider Parameter landen wir im chaotischen Feld.
Die Stacey-Matrix eignet sich, um das eigene technische Umfeld, den eigenen Kontext (Projekt, Veränderungsvorhaben) zu reflektieren.
Beispiel: Die Entwicklung einer Social-Media-Applikation wird eher oben links einzuordnen sein. Die Technologien sind bekannt, die Anforderungen, um mit einem solchen Portal ein milliardenschweres Geschäft zu generieren, jedoch nicht.
Beispiel: Autonomes Fahren von PKWs wäre mehr unten rechts einzuordnen. Die Anforderungen des Kunden sind klar: “Fahre mich wohlbehalten von A nach B.” Die technische Umsetzung dazu ist nach wie vor eine große Herausforderung.
Wichtig bei der Stacy-Matrix ist, deren Einschränkung im Blick zu haben. Sie bezieht sich nur auf die technische Komplexität. Die soziale Komplexität (Individuum, Team, Organisation und Umwelt) wird dabei nicht berücksichtigt.
Handlungsstrategien im Kontext von Projekten
Die meisten Herausforderungen sind in der heutigen VUCA-Welt eher als kompliziert und komplex und weniger als einfach zu bewerten. Dave Snowden warnt davor, Best Practices rezeptartig auf komplizierte und komplexe Zustände anzuwenden. Eine falsche Vorgehensweise kann Systeme in chaotische Systemzustände überführen, die irreversibel sind.
Mit Blick auf die Stacey Matrix wird deutlich, dass in dieser Betrachtung auch ein Zusammenhang zwischen dem Wissen des Betrachters und dem System besteht. Für Betrachter mit hohem Fach- und Erfahrungswissen, sind gewisse Aufgabenstellung schon der Kategorie einfach oder kompliziert zuzuordnen, die für Betrachter mit (noch) geringerem Wissen komplex sind.
Einfache und komplizierte Projekte lassen sich überwiegend mit Standard-Methoden (Wasserfall-Methode) oder Lean-Methoden erfolgreich durchführen. Komplexe Vorhaben lassen sich nicht analytisch lösen. Die Thesen können zwar aus analytischen Betrachtungen abgeleitet sein, das unbekannte Zusammenwirken muss jedoch über entsprechende Versuche, der PDCA-Logik (Plan-Do-Check-Act) folgend, beobachtet und nachgewiesen werden. In diesem Umfeld ist der Einsatz der agilen Methoden, mit der prägenden iterativen Vorgehensweise, die passende Wahl.
Soziale Komplexität
Da Projekte von Menschen, in Teams, in einer Organisation und der Umwelt gemacht werden, spielt die soziale Komplexität auch eine entscheidende Rolle. Die meisten Projekte sind, je nach Betrachtungsebene einfach, kompliziert, komplex und chaotisch.
Die Kunst ist es, die in dem Cynefin Framework postulierten Lösungsansätze situativ anzuwenden. Dazu bietet agilean einen Rahmen, der vom angestrebten Kundennutzen über die Projektergebnisse, den Stage-Ergebnissen und den Sprint-Ergebnissen bis zum dem Arbeitsschritt, der heute zu tun ist, eine granulare Transparenz schafft. Diese es erlaubt, dass auf der Arbeitsebene die Welt einfach, maximal kompliziert ist. Damit ist es möglich für die Menschen eine Umgebung zu schaffen, die beständig statt volatil, sicher statt unsicher, einfach satt komplex und eindeutig statt ambivalent ist. Das ist die Basis für erfolgreiche und gelungene Projekte.
Quellen
H. Barber: Developing Strategic Leadership: The US Army War College Experience. Hrsg.: Journal of Management Development. Band 11, Nr. 6, 1992
W. E. Deming, Out of the Crisis, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge 1982, ISBN 0-911379-01-0, S. 88.
D. Snowden, M. Boone, “A Leaders Framework for Decision Making“, Harvard Business Review, 11, 2007
D. Snowden, The Cynefin Framework, https://youtu.be/N7oz366X0-8 , Stand 02.02.2022
Ralph D. Stacey, „Strategic Management and Organisational Dynamics: the challenge of complexity to ways of thinking about organisations.” Pearson Education (6th edition), London 2011